Kritzeln mit der Nähmaschine

01. April 2025 | 0 Kommentare

Es gibt etliche Situationen, in denen es viele von uns tun… Ob in der Schule, Uni, beim Telefonieren oder ganz aktuell und gänzlich unbeobachtet in Video-Konferenzen: das KRITZELN!

Unbewusst und intrinsisch beginnen wir, überschüssige Energie, die oft vermeintlich als Langeweile gedeutet wird, abzubauen, indem wir alles mögliche, was wir gerade so zur Verfügung haben, bekritzeln…. Servietten, Bierdeckel und Fahrkarten werden dafür als ebenso nützlich erachtet wie Notizblöcke oder Zeichenpapier.

Mittlerweile gibt es einige wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen. Die britische Psychologin Jackie Andrade fand 2010 in einer Studie heraus, dass ‚Kritzler‘ rund 30 Prozent mehr Inhalt eines Gedächtnistests behalten konnten als die Vergleichsgruppe, die nur zuhörte.

Professor Georg Franzen erklärt in einem Spiegel-Interview: „Die gestaltenden Kräfte sind im Grunde dieselben, die auch in unseren Träumen am Werk sind“ (2011). Dabei beschreibt er sinngemäß weiter, dass nicht diejenigen Dinge gekritzelt werden, die man hört, sondern dass dabei Themen widergespiegelt werden, die jemanden aktuell beschäftigen (ebd.)
Wie gelingt nun der Bogen zur Nähmaschine?

In einem Artikel in der ART >Hamburg< bin ich auf Tine Biermann gestoßen. Sie verarbeitet autobiografische Lebensthemen, indem sie aus den Bildern in ihrem Kopf, ihren Erinnerungen, Stoffbilder näht. Eines bezaubernder als das andere. Sie erinnern an Kinderzeichnungen, sind detailliert, naiv und verspielt. Das besondere an der Kunsttherapie ist neben der visuellen Kraft auch ihre Vielseitigkeit bezüglich der Materialauswahl. Das Nähen, explizit das Gestalten mittels einer Nähmaschine bietet hier eine weitere, nicht minder wirksame Möglichkeit des Ausdrucks.

Zusätzlich hat mich ein Artikel in dem Buch ‚Rezeptive Kunsttherapie‘ (Franzen,G.&Menzen, K.-H., 2022) von Dr. Alexandra Daszkowski inspiriert. Sie thematisiert in dieser Abhandlung unter anderem »…das Konzept der transgenerationalen Traumatisierung…«. Abgemildert kann meines Erachtens bereits eine transgenerationale Übertragung von Erfahrungen/ Erlebnissen früherer Generationen auf heutige eine Motivation sein, einen individuellen Ausdruck zu suchen. Die Kunsttherapie vermag genau diese, größtenteils unbeabsichtigten und häufig auch ungewollt übernommenen Geschehnisse zum Vorschein zu bringen, weshalb eine Verknüpfung dieser Themen mir folglich bereichernd und näher beachtenswert erscheint.

Meine Großmutter war Schneiderin, meine Mutter gelernte Modistin, Nähmaschinen haben mich meine gesamte Kindheit/ Jugend begleitet. Ich liebe das ratternde Geräusch und die abrupte Stille im Wechsel. Häufig war das Licht im Raum gedämmt, sodass das helle Lämpchen der Nähmaschine die Hände und den zu bearbeitenden Stoff wie die Hauptakteure in einem Film beleuchteten. Der damalige Nutzen der Nähmaschinen diente jedoch eher einem praktischen und existenzsichernden, wenngleich auch kreativem Zweck. Dieses „Erbe“ wollte ich transformieren und etwas eigenes daraus machen.

Die Idee des Näh-Malens ist dabei keine neue. Es gibt einige Tutorials, die anleiten, schöne Bilder mit der Nähmaschine auf Stoff zu malen. „Collageartig“ werden zusätzliche Stoffe aufgenäht, bis ein harmonisches Gesamtbild entsteht.
Bei meiner Umsetzung geht es allerdings um etwas anderes: Der intuitive PROZESS steht hierbei im Vordergrund.
Ich nehme ein Stück Stoff (ein altes T-Shirt, einen Jutebeutel, ein altes Stofftaschentuch) Teebeutel oder auch Papier, setze mich an meine Nähmaschine, fädele eine Garn-Farbe ein, die mir in diesem Moment passend erscheint, senke den Transporteur und los geht’s…

Mit dem Fußpedal kann man entscheiden, wie schnell oder langsam man malen möchte, mit den Händen kann der Stoff in beliebige Richtungen geführt werden. Intuitiv, ohne darüber nachzudenken, entstehen Formen, Symbole und auch Bilder, die sich nach und nach zu Themen oder Geschichten entwickeln.

Beim Nähen geht es häufig um Kontrolle, die Naht muss an der richtigen Stelle sitzen, die Stoffe sollten akkurat aufeinander liegen, die Fadenspannung muss an den vorliegenden Stoff angepasst werden.
Diese Kontrolle kann/ sollte beim intuitiven Näh-Malen abgelegt werden. Loszulassen und unbewusst etwas entstehen zu lassen kann ein sehr befreiendes Gefühl sein.

Das entstandene Werk im Anschluss zu betrachten und auszuwerten, ist ein heilsamer, wenn auch teilweise herausfordernder Akt. Mit unterstützender Begleitung kann diese Analyse jedoch sehr fruchtbar und erkenntnisreich sein.
Teile gerne deine Lieblingsmethode zum Entspannen, Konzentrieren oder Verarbeiten, ich freu mich drauf!

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In den folgenden Artikeln versuche ich euch- mal mehr wissenschaftlich, mal ein wenig philosophisch, poetisch, sachlich, emotional, rational auf jeden Fall immer authentisch- einen Einblick in meine Welt der Kunsttherapie zu gewähren und auf diese Weise auf deren Vielschichtigkeit und Wirksamkeit aufmerksam zu machen…

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Seit einigen Jahren recherchiere ich zu dem ducrhaus komplexen Thema ‚Farben’… zu ihrer Herkunft, Bedeutungen, kulturellen Unterschiede uvm.  

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