Ich male Blumen, damit sie nicht sterben

Auf meiner letzten Tour für Lufthansa hatte ich endlich die Gelegenheit, das Geburtshaus von Frida Kahlo (1907–1954) in Mexiko-Stadt zu besuchen – heute ein Museum und Erinnerungsort voller Farben, Kontraste und Leben.
In ihrem „Casa Azul“ – dem blauen Haus – verbrachte Frida viele prägende Jahre mit ihrem Ehemann, dem Maler und politischen Aktivisten Diego Rivera.
Hier lebte, liebte, litt und starb sie.
Was mich dort erwartete, war allerdings weit mehr als ein Museum. Es war ein Raum voller Zeugnisse eines intensiven Lebens: Hunderte Relikte, Bilder, Skulpturen und Alltagsgegenstände erzählen von Schmerz und Stärke, Verlust und Hoffnung.
Frida hinterließ nicht nur Kunstwerke, sondern Spuren einer tief empfundenen und mutig gelebten Existenz.
Ihr Werk ist zutiefst autobiografisch – ihr eigener Körper, ihre Erfahrungen und ihr Innerstes dienten ihr als Spiegelmotiv:
„Ich male mich, weil ich sehr viel Zeit allein verbringe und weil ich das Motiv bin, das ich am besten kenne.“
– Frida Kahlo


Durch große Fensterfronten öffnet sich der Blick in den sattgrünen, dichten Garten – das Außen dient hier ebenfalls als Resonanzraum zum Innen. Gedanken dürfen schweifen, Verbindungen entstehen.
Diese radikale Selbstzuwendung durchzieht auch das Haus an sich. Farben, Architektur und Raumaufteilung sprechen eine kraftvolle Sprache: leuchtendes Gelb, tiefes Rot, vibrierendes Blau – kontrastreich, unübersehbar. Die Farben erinnerten mich unweigerlich an meine vergangenen Workshops, in denen genau diese Grundfarben für emotionale Grundthemen standen.
Besonders berührt hat mich ihr Himmelbett, in welchem Frida viel Zeit nach einem schweren Busunglück verbringen musste. Ein Spiegel am Baldachin befestigt, diente zur Selbstbetrachtung, um im Anschluß ihr äußeres und inneres Abbild auf Leinwand festzuhalten.
Im angrenzenden Zimmer steht ein weiteres Bett – darüber eine filigrane Sammlung von Schmetterlingen. Sie gelten als Sinnbild für Metamorphose, Wandlung und Neubeginn.Für Frida Kahlo mögen sie die vielen Transformationen symbolisiert haben, die sie durchleben musste. Für Heilung. Oder für das, was nie zur Welt kam.
Ein kleiner Exkurs zum Schmetterling, der immer wieder in Fridas Bildern auftaucht:
Auch wenn sie zerbrechlich wirken, sind Schmetterlinge wahre Überlebenskünstler – robuster, als man denkt.
Ob auf 6000 Metern Höhe im Himalaya, in der klirrenden Kälte der Arktis oder unter der sengenden Wüstensonne: Der Schmetterling hat gelernt, widrigen Umständen zu trotzen. Manche Arten haben sich im wahrsten Sinne des Wortes ein dickes Fell zugelegt, andere nutzen ihre Flügel wie Solarpaneele, um Wärme zu speichern.Auch Frida besaß in meinen Augen diese erstaunliche Fähigkeit: sich immer wieder neu anzupassen – mit Zartheit, aber innerer Kraft.
»Wozu brauche ich Füße, wenn ich Flügel zum Fliegen habe?«
– Frida Kahlo
Die blauen Stufen in ihren Garten führen direkt auf eine Wand, auf der ein Liedtext von Patti Smith zu lesen ist – inspiriert von Fridas Schmetterlingsbett.
I can not walk
I can not see
further than
what is in front of me
I lay on my back
yet I do not cry
transported in space
by the butterflies.
Above my bed
another sky
with the wings you sent
within my sight
all pain dissolves.
In another light.
Transported thru
Time
by the butterfly.
Patti Smith
Und auch hier begegnet mir ein weiteres Band zu meiner kunsttherapeutischen Welt: In meiner Masterarbeit leite ich ein Kapitel mit einem Zitat von Patti Smith ein:
„Das entstandene Kunstwerk gehört der Welt, der Prozess jedoch dem Künstler allein.“ – Patti Smith
Fridas Kunst war nie bloße Dekoration – sie war Ausdrucksorgan, Überlebensressource und Heimkehr zugleich.
Auch in der kunsttherapeutischen Praxis entstehen Bilder, die berühren, bewegen und Wandlung ermöglichen. Sie erzählen von dem, was war, was ist – und manchmal auch von dem, was werden kann.
Am Ende meiner kurzen Reise in Fridas Welt arbeitet vieles noch in mir nach – besonders das tiefe, leuchtende Blau ihres Hauses.

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