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21. August 2025 | 0 Kommentare

»Wo Licht ist, ist starker Schatten« (Goethe)

Die Sommerferien verbringe ich aktuell in Thailand und hier stoße ich überall auf das Yin-Yang-Symbol. Das Konzept des Yin-Yang-Symbols stammt aus der jahrhundert Jahre alten, chinesischen Philosophie des Daoismus. 

Schwarz und Weiß, Hell und Dunkel werden hierbei nicht als Widerspruch gesehen, sondern als Einheit, die erst im Zusammenspiel vollständig wird. Die perfekte Verkörperung in einem kleinen runden Symbol.

Aber beginnen wir mit der Ratio…

Wissenschaftlich betrachtet sind Schwarz und Weiß besondere „Farben“: Weiß ist die Summe allen Lichts, Schwarz die Abwesenheit davon- auch deshalb nennt man sie unbunte Farben. Sie tragen keinen eigenen Farbton wie Blau, Rot oder Gelb, sondern wirken wie Pole – Anfang und Ende, Sein und Nichtsein.

»Ein Gegegnstand, der von der Sonne angestrahlt wird und alle einfallenden Strahlen reflektiert, erscheint uns weiß. Farbe nehmen wir dann wahr, wenn ein Objekt die Lichtquellen teils absorbiert, teils zurückwirft. Welcher Farbton das genau ist, hängt von der Wellenlänge des Lichts ab. Weiß entsteht dabei durch die Mischung aller Farben« (Edwards-Dujardin, H. 2024. Weiss- von der Venus von Milo bis zu Kasimir Malewitsch. Midas Verlag)

Schwarz wiederum absorbiert alle Wellenlängen, ohne sie zurückzuwerfen – darum wirkt es dunkel.

Das ‚Schwarz-Weiß-Denken‘ aus psychologischer Sicht

Unser Gehirn liebt die Extreme – es denkt in 1 oder 0, entweder oder. Alkoholiker oder nicht, depressiv oder nicht, essgestört oder nicht. Psychologen nennen das Alles-oder-Nichts-Denken oder Dichotomie

Dieses binäre Denken hat einen Zweck: es gibt uns auf eine gewisse Weise kurzfristig das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle.

Oftmals erlebe ich, wie es erleichternd wirkt, etwas ‚benennen‘ zu können- Kategorie-Schublade auf- Erkenntnis rein- Schublade zu? 

Bitte nicht! 

So hinderst du dich selbst an deinem inneren Wachstum.

Je weniger wir binäres Denken nutzen und die Komplexität des Lebens akzeptieren, desto mehr können wir im Inneren wachsen und umso besser geht es uns auch, denn: fast alles im Leben existiert als Spektrum mit unendlich vielen Graustufen.

Wenn ich in diesem Zusammenhang über Kontraste nachdenke, muss ich unweigerlich ebenfalls an C.G.Jung denken und die von ihm beschriebenen Polaritäten der Seele in Form von Anima und Animus.

Die Anima ist nach Jung das innere Weibliche in der Seele des Mannes – ein archetypischer Seelenanteil, der für Intuition, Gefühl, Inspiration oder Beziehung steht.
Sie erscheint in Träumen oft als geheimnisvolle Frau, Muse, Geliebte – manchmal als dunkle Verführerin, manchmal als lichte Heilerin.

Der Animus ist das innere Männliche in der Frau – oft verkörpert durch innere Stimmen, Meinungen, Urteile oder Ideen. Er steht für Logos, Verstand, Richtung, aber auch für Fixiertheit oder Dominanz.

Diese beiden Prinzipien sind Polaritäten, die sich ergänzen – wie Yin und Yang, Licht und Schatten.

In Klausbernd Vollmars Werk ‚Schwarz Weiss‘ spiegelt sich diese Erkenntnis in der Idee wieder, dass wir „Farbe“ erst erleben können, wenn wir beide Pole (hell/dunkel – männlich/weiblich – bewusst/unbewusst) integrieren.

C.G. Jungs Frau, Emma Jung, befasste sich im Übrigen ebenfalls intensiv mit diesen Themen. Sie hat unter anderem über den Heiligen Gral geschrieben (‚Die Graalslegende in psychologischer Sicht‘, Jung, E. & Franz, M.-L.) und war maßgeblich an der Erforschung des Animus beteiligt. Sie betonte, wie wichtig die Integration dieser inneren Anteile für die persönliche Entwicklung ist.

Die Seele kennt keine Einseitigkeit – sie ist schwarz und weiß zugleich. Die Ganzheit beginnt dort, wo Gegensätze sich anerkennen.“

Übertragen auf die Kunsttherapie / das kreative Arbeiten bedeutet das:

Anima könnte sich z. B. im bildhaften Ausdruck zeigen, in intuitivem Schreiben, im Gestalten von Fließendem, Verspieltem, vielleicht in dunkleren, tieferen Farben oder Schattenzonen.

Animus taucht eher im Bedürfnis nach Struktur, Ordnung, Klarheit auf – z. B. beim Kontrastieren, Begrenzen, analytischen Nachdenken über das Werk.

Beides ist ohne einander nicht vollständig und stimmig.

Schwarz-Weiß in der Kunst

An dieser Stelle möchte ich euch eine Künstlerin vorstellen, die mich zutiefst bewegt: Käthe Kollwitz (1867–1945).
Über viele Jahre lebte und wirkte sie in Berlin, wo ihr ehemaliges Wohnhaus im Prenzlauer Berg noch heute an sie erinnert. Mit ihrer Kunst verwandelte sie nicht nur eigene Sorgen, Ängste und Anklagen in Bilder und Skulpturen, sondern schenkte der Welt zugleich Kraft, Empathie, Hoffnung und ein tiefes Gefühl menschlicher Verbundenheit.
Besonders ihre eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Radierungen verdeutlichen, wie stark das Spiel von Hell und Dunkel wirken kann. Ganz ohne Farbe gelang es ihr, eine Intensität zu schaffen, die Betrachterinnen und Betrachter bis heute unmittelbar ergreift.
Kollwitz hat im Laufe ihres Lebens fast 100 Selbstbildnisse geschaffen – in Tusche, Kreide, Kohle oder auch als Skulpturen. Eines davon, das Selbstbildnis mit aufgestütztem Kopf, entstand 1889/91, ebenfalls in Berlin, im damaligen Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg. In dieser Zeit begann sie, sich verstärkt mit sozialen Fragen auseinanderzusetzen. Durch die Arbeit ihres Mannes als Arzt sah sie viel Leid und Armut – Erfahrungen, die sie tief prägten und die in diesem ungeschönten Selbstbildnis eine unmittelbare Nähe und Ehrlichkeit finden.
Die Pose des abgestützten Kopfes, ihr eindringlicher Blick und die Reduktion auf das Wesentliche verleihen dem Bild eine große Ausdruckskraft. Die fast trotzig-schmollende Mundpartie wirkt kindlich, während die dichten Schraffuren um die Augen gelebte Erfahrung und Ernsthaftigkeit widerspiegeln. Gerade dieser Kontrast macht das Werk für mich so eindrucksvoll – nahbar, verletzlich und zugleich kraftvoll





Selbstbildnis mit aufgestützter Hand, 1889/91 Käthe Kollwitz Museum Köln

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es die Fähigkeit, die Dualität von Schwarz und Weiß bewusster in unser Leben zu integrieren. Nicht im Sinne eines starren Denkens wie ‚Entweder-oder‘, sondern vielmehr in der Anerkennung, dass viele Anteile in uns wohnen und dass wir uns ständig in einem Spektrum bewegen. Schwarz und Weiß sind dabei nicht Grenzen, sondern Pole, zwischen denen unzählige Zwischentöne schwingen, mit denen wir in Resonanz gehen dürfen!

Je mehr wir lernen, diese Vielfalt zu akzeptieren, desto größer wird unsere Toleranz – gegenüber uns selbst, unseren Schattenseiten und unseren lichten Momenten und anderen gegenüber.

Meines Erachtens liegt genau darin die Kunst: im Spannungsfeld von Gegensätzen nicht das Trennende, sondern das Verbindende zu erkennen.

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